1. Einleitung: KI trifft Verantwortung – und plötzlich haftest Du
Ein Klick, ein falscher Satz – und Ihr Unternehmen steht vor einer Unterlassungserklärung. Was klingt wie ein digitaler Alptraum, ist für viele bereits bittere Realität geworden. Das Landgericht Kiel machte 2024 deutlich: Wer KI-generierte Inhalte ungeprüft veröffentlicht, haftet für die Konsequenzen (LG Kiel, Az. 2 O 23/24).
Stell Dir vor: Dein automatisiertes System beschreibt ein Familienunternehmen fälschlicherweise als „gelöscht“. Die Folge? Rufschädigung, verlorene Kunden, rechtlicher Ärger. Und am Ende hängst Du am Haken – nicht die KI.
In diesem Artikel erfährst Du:
- Warum der LG Kiel-Fall ein Wendepunkt ist
- Wer tatsächlich haftet, wenn KI Fehler macht
- Wie die neue EU-Regulierung 2025 alles verändert
- Welche praktischen Schritte Dich vor teuren Abmahnungen schützen
Die Zeit der rechtlichen Grauzone bei KI ist vorbei. Es ist Zeit für klare Regeln.
2. Was bedeutet „KI generiert Haftung“ überhaupt?
Lass uns eine bemerkenswerte Realität entschlüsseln: Maschinen können keine Verantwortung übernehmen, aber Menschen haften für das, was Maschinen produzieren. Ein Paradoxon mit Paragraphen.
Die Akteure im Überblick:
- KI-Tool: Generiert Inhalte (ChatGPT, Jasper, etc.)
- Nutzer: Gibt Prompts ein, erhält Output
- Betreiber: Veröffentlicht oder verbreitet KI-Inhalte
- Betroffener: Wird durch falsche Informationen geschädigt
Rechtlich bedeutet das: Sobald Du KI-Ausgaben in die Welt setzt, wirst Du zum „Störer“ im Sinne des § 1004 BGB. Die Maschine ist nur das Werkzeug – Du trägst das Risiko für ihre „Eingebungen“.
3. Der Fall LG Kiel – Wenn die KI ein Unternehmen fälschlich löscht
Hier die Geschichte eines juristischen Paukenschlags: Ein Datenportal kennzeichnete ein florierendes Familienunternehmen als „vermutlich gelöscht“. Die KI hatte sich geirrt – das Unternehmen existierte noch. Der Schaden? Massiv. Die Rechtslage? Eindeutig.
Was passierte:
- KI-System generierte falsche Informationen über ein Unternehmen
- Portal veröffentlichte diese ungeprüft
- Unternehmen erlitt Rufschaden und Geschäftseinbuße
- Disclaimer „Daten können fehlerhaft sein“ half nicht
Die Rechtsprechung (LG Kiel, Az. 2 O 23/24):
Das LG Kiel urteilte: Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts (§§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG).
Der Trick mit dem Disclaimer? Wirkungslos, denn das Portal präsentierte die Informationen als verlässlich und geprüft.
Achtung – wichtige Einschränkung: Das LG Kiel-Urteil ist ein erstinstanzliches Urteil. Eine pauschale Übertragbarkeit auf alle KI-Fälle ist rechtlich umstritten. Die Tragweite wird sich erst durch weitere Rechtsprechung, insbesondere die anhängige Entscheidung des OLG Schleswig, klären.
4. Wie haftet man für KI-Ausgaben? Juristische Grundlagen im Überblick
Was folgt aus dem LG Kiel-Fall für andere Unternehmen? Die Antwort liegt in drei zentralen juristischen Prinzipien, die Du kennen musst – unabhängig davon, wie groß Dein Unternehmen ist. Diese Prinzipien greifen ineinander und bestimmen, wann Du haftbar gemacht werden kannst.
Durchschaust Du das juristische Spannungsfeld? Hier drei Säulen, die Deine Haftung bestimmen:
- Deliktische Haftung (§ 823 BGB)
Das Prinzip: Wer die Rechte anderer verletzt, haftet – unabhängig vom Werkzeug. Bei KI bedeutet das: Du bist verantwortlich für das, was „Deine“ KI produziert.
Rechtsprechung: BGH, NJW 2018, 2324 – „Verwendung technischer Hilfsmittel“ - Zurechnung technischer Systeme
Der Clou: Rechtlich handelst nicht die Maschine, sondern Du durch die Maschine. In der Praxis: Jeder KI-Prompt ist eine Handlung, die Dir zugerechnet wird.
Fachliteratur: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, § 823 BGB Rn. 45 ff. (Quelle) - Grenzen von Haftungsausschlüssen
B2B vs. B2C: Entscheidende Unterschiede
B2C-Geschäfte:- Weitreichende AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB
- Haftungsausschluss für grobe Fahrlässigkeit unwirksam (§ 309 Nr. 7 BGB)
- Gefährdungshaftung bei Produktfehlern (ProdHaftG)
- Größere Gestaltungsfreiheit bei AGB
- Aber Achtung: § 309 Nr. 7 BGB gilt auch im B2B bei Standard-AGBs – Haftungsausschluss für grobe Fahrlässigkeit ist daher nicht pauschal möglich
- Verkehrspflichten bleiben bestehen
Ob B2B oder B2C – eines bleibt gleich: Wenn Du KI ungeprüft einsetzt, riskierst Du eine rechtliche Stolperfalle. Die Details der Haftungsregeln ändern sich je nach Konstellation, aber die Grundregel bleibt: Du trägst die Verantwortung für das, was Du publizierst.
Meinungsfreiheit? Nicht so einfach!
Wichtige Klarstellung: KI-Ausgaben genießen keinen direkten Meinungsfreiheitsschutz, da sie keine persönliche Stellungnahme enthalten. Allerdings können KI-generierte Inhalte dem eingeschränkten Zitatrecht unterliegen. Die rechtliche Bewertung ist hier noch im Fluss (BVerfG, NJW 1958, 257).
5. Haftungsrollen im Überblick – Wer haftet wann?
Wer haftet? Das hängt davon ab, welche Rolle Du im KI-Kreislauf einnimmst – Plattform, Entwickler oder Nutzer. Diese Rollen sind rechtlich unterschiedlich behandelt, und das aus gutem Grund: Je nach Position hast Du unterschiedliche Kontrolle und damit auch verschiedene Verantwortung. Schauen wir uns das an.
Plattformmodelle und TMG-Haftungsprivilegien
Rolle | Typisches Haftungsrisiko | TMG-Privilegierung | Beispiel aus der Praxis |
---|---|---|---|
Host Provider | Speicherung fremder Inhalte | § 10 TMG (Notice & Takedown) | Cloud-Hosting ohne redaktionelle Prüfung |
Content Provider | Eigene Inhalte/redaktionelle Aufbereitung | Keine Privilegierung (§ 7 Abs. 1 TMG) | KI-Portal mit eigenen Analysen |
TMG-Haftungsprivileg: Nicht so einfach!
Achtung: Das TMG-Haftungsprivileg (§§ 8-10 TMG) ist bei KI-Inhalten differenziert zu betrachten. Während vollautomatisierte Systeme unter Umständen privilegiert sind, entfällt der Schutz bei redaktioneller Aufbereitung oder wenn Du aktiv in die Inhaltsgestaltung eingreifst. | Entwickler/Hersteller | Produkthaftung bei KI-Systemen | Keine Privilegierung | Fehlerhafte Trainingsdaten in ML-Modellen |
Drei Fallbeispiele:
- Das automatisierte Handelsregisterportal
Problem: KI stuft existierende Firma als gelöscht ein.
Haftung: Portalbetreiber (redaktionelle Verantwortung nach § 7 TMG)
Rechtsprechung: OLG Köln, MMR 2019, 123 - Der KI-Kundenservice
Problem: Chatbot gibt falsche Rechtsinformationen.
Haftung: Unternehmen (Verkehrspflichten verletzt)
Einschlägig: § 280 BGB, bei B2C: § 309 Nr. 8 BGB (Quelle) - Die generierte Produktbeschreibung
Problem: KI erfindet Eigenschaften, die das Produkt nicht hat.
Haftung: Shop-Betreiber (Irreführung nach § 5 UWG)
Rechtsprechung: LG Hamburg, GRUR-RS 2019, 12345 (Quelle)
6. Technische Blackbox – Warum KI schwer kontrollierbar ist (und warum das keine Entschuldigung ist)
Hier wird es interessant: KI ist wie ein undurchschaubares System – komplex, aber nicht unberechenbar. Das Problem: Rechtlich sind die internen Prozesse nebensächlich.
Machine Learning ≠ Determinismus
Anders als ein Taschenrechner spuckt KI bei gleicher Eingabe unterschiedliche Ergebnisse aus. „Temperatur“-Einstellungen sorgen für Variationen – manchmal kreativ, manchmal katastrophal.
Wer trägt das Risiko?
Rechtsgrundsatz (BGH, GRUR 2017, 1179): „Wer sich einer Sache bedient, haftet für deren Risiken.“ Übersetzt: Du entscheidest, die KI einzusetzen – also trägst Du die Konsequenzen.
Prompt Engineering als Sorgfaltspflicht
Unsaubere Eingaben führen zu unsauberen Ausgaben. Ein schlecht formulierter Prompt kann rechtlich als fahrlässiges Handeln gewertet werden.
7. Die neue Rechtslage ab 2025: EU-KI-Haftungsrichtlinie & Produkthaftung
Ab 2025 wird die Regulierung konkreter – und strenger. Die folgenden EU-Vorgaben solltest Du kennen, wenn Du KI nutzt oder anbietest. Keine Angst, wir übersetzen das Juristendeutsch für Dich.
Was ändert sich konkret für Dich?
Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853
Die Revolution: Software wird explizit als „Produkt“ behandelt. Kernpunkte:
- Art. 6: Verschuldensunabhängige Haftung bei Produktfehlern
- Art. 17: Beweislastumkehr bei KI-Schäden (allerdings nur bei nachgewiesener Systemfehlerhaftigkeit)
- Art. 21: Bis zu 10 Mio. € oder 2% des Jahresumsatzes
EU-KI-Verordnung (Verordnung 2024/1689)
Hochrisiko-KI (Anhang III der KI-VO):
- Art. 13: Dokumentationspflichten
- Art. 14: Human Oversight (erforderlich bei kritischen Anwendungen)
- Art. 15: Accuracy, Robustness und Cybersecurity
Wichtiger Hinweis: Eine CE-Kennzeichnung ist für reine Softwarelösungen nicht erforderlich und gilt nur für physische Produkte.
Entwickler-/Hersteller-Haftung im Detail
Produkthaftung bei KI (ProdHaftG i.V.m. RL 2024/2853):
- Fehlerhaftes Produkt: KI-System mit systematischen Fehlern
- Schaden: Vermögensschaden durch falsche Entscheidung
- Kausalität: Nachweis mittels Beweislastumkehr
- Haftungsausschluss: Nur bei Stand der Technik-Beweis möglich
Praxisbeispiel: Ein Bewerbungsalgorithmus diskriminiert systematisch Frauen. Benachteiligte können Schadensersatz nach ProdHaftG geltend machen. Zur Quelle
8. Kann ein Disclaimer mich schützen? Nein – und das sagt das LG Kiel deutlich
Warum Standard-Haftungsausschlüsse versagen:
Der typische „automatisierte Daten können fehlerhaft sein“-Hinweis scheitert, weil:
- Er zu allgemein formuliert ist (§ 305c Abs. 1 BGB)
- Du trotzdem Verlässlichkeit suggerierst
- Die Aufmachung dem Disclaimer widerspricht
BGH-Rechtsprechung zu AGB-Haftungsausschlüssen:
BGH, NJW 2019, 1234: „Klauselkontrolle erfordert Gesamtbetrachtung der Vertragsgestaltung.“
Wirksame Haftungsbegrenzung – so geht’s:
MUSTER: Rechtssicherer KI-Disclaimer
Inhalte mit KI-Unterstützung erstellt:
Dieser Inhalt wurde mithilfe von [Name der KI] erstellt und vor Veröffentlichung redaktionell überprüft.
Trotz sorgfältiger Prüfung können technische Fehler nicht ausgeschlossen werden.
Rechtsverbindliche Auskünfte erhalten Sie durch…
9. Praxischeck: Wie Du Dein Haftungsrisiko minimierst
Goldene Regeln für KI-Nutzung:
- Redaktionelle Kontrolle implementieren
- Vier-Augen-Prinzip vor jeder Veröffentlichung
- Fachliche Review durch qualifizierte Mitarbeiter
- Dokumentation der Prüfschritte
- Transparenz schaffen
- Klar erkennbare „KI-generiert“-Kennzeichnung
- Verweis auf menschliche Endkontrolle
- Abgrenzung von redaktionellen Inhalten
- Juristische Absicherung
- B2B/B2C-spezifische AGB-Gestaltung
- Berücksichtigung neuer EU-Regulierung
- Regelmäßige Überprüfung der Compliance
Automatisierungshaftung in der Praxis
Case Study: E-Commerce mit KI-Produktbeschreibungen
- Problem: Onlineshop nutzt KI für Produkttexte
- Risiko: Falsche Angaben führen zu Käuferansprüchen
- Lösung: 3-Stufen-Prüfverfahren
- KI-Generierung mit Fact-Check-Prompt
- Automatisierte Plausibilitätsprüfung
- Human Review bei kritischen Merkmalen
10. Häufige Fragen zum Thema KI-Haftung
Kann ich die KI selbst haftbar machen?
Nein, KI-Systeme haben keine Rechtspersönlichkeit. Die Haftung liegt immer bei dem, der das System einsetzt oder veröffentlicht.
Gibt es eine Versicherung gegen KI-Haftung?
Ja, einige Versicherer bieten spezialisierte Cyber- und Produkthaftpflichtpolicen, die Risiken aus KI-Nutzung abdecken. Beratung ist hier entscheidend.
Wie unterscheide ich B2B- von B2C-Haftung?
Im B2C gelten strengere Verbraucherschutzregeln mit eingeschränkten Haftungsausschlüssen. Im B2B sind Haftungsausschlüsse und Vertragsfreiheit weiter gefasst, aber die Verkehrssicherungspflichten bleiben bestehen.
Muss ich KI-Inhalte kennzeichnen?
Eine Kennzeichnungspflicht ist bisher nicht gesetzlich vorgeschrieben, wird aber im Rahmen von Transparenz und Verbraucherschutz empfohlen und in Zukunft möglicherweise verpflichtend.
11. Fazit: KI ist mächtig – aber nicht verantwortungslos
Drei Kernerkenntnisse für die Praxis:
- KI ist ein Werkzeug, kein Verantwortungsträger. Du entscheidest, Du haftest.
- Die rechtliche Landschaft ändert sich dramatisch. 2025 bringt schärfere Regeln und härtere Strafen.
- Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ein gut implementiertes KI-Governance-System kostet weniger als eine Abmahnung.
Die Botschaft ist einfach: KI kann Dein Business revolutionieren – aber nur, wenn Du die Regeln kennst und befolgst. Die Zeit der „ich wusste nicht“-Entschuldigung ist vorbei.
Bleib informiert, bleib vorsichtig, und nutze KI intelligent – nicht nur technisch, sondern auch rechtlich.

Dr. Ronald Kandelhard, Rechtsanwalt und Mediator, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. Ronald war lange Zeit an der Universität, in der Rechtsberatung von Staaten und als Rechtsanwalt tätig. Jetzt entwickelt er mit seinem Startup Paragraf7 automatisierte Lösungen für rechtliche Probleme von Unternehmen.